Angeschwemmtes Seegras ist für viele Küstenbewohner eine Plage. Doch der Rohstoff eignet sich sehr gut zum Dämmen von Gebäuden. Gemeinsam mit Industriepartnern ist es Forschern gelungen, die schadstofffreien Fasern zu Dämmwolle zu verarbeiten.
Im Herbst, Winter und Frühling prägen sie das Bild der Mittelmeerstrände – Seegraskugeln der Pflanze Posidonia oceanica, die auch als Neptunbälle bekannt sind. Das Naturmaterial gilt als Abfallprodukt und wird in der Regel auf Deponien entsorgt. Dabei ist der in großen Mengen vorkommende nachwachsende Rohstoff viel zu wertvoll, um auf der Müllkippe zu landen. Er zeichnet sich durch eine Reihe von Eigenschaften aus, die ihn für das Baugewerbe interessant machen: Seegrasfasern sind schwer entflammbar, schimmelresistent und lassen sich ohne chemische Zusätze als Dämmwerkstoff nutzen – etwa zur Zwischensparrendämmung in Steildächern, zum Isolieren von Innenwänden oder um Wärmeverluste an der Gebäudehülle zu verringern. Die Fasern nehmen Wasserdampf auf, puffern ihn und geben ihn wieder ab, ohne dass die Wärmedämmfähigkeit beeinträchtigt wird. Da Neptunbälle lediglich einen Salzgehalt von 0,5 bis 2 Prozent haben, verrottet der Dämmstoff nicht.
Doch wie lässt sich das Seegras zu Baumaterial verarbeiten? Eine schwierige Aufgabe, schließlich müssen die Neptunbälle vom anhaftenden Sand befreit werden. Hinzu kommt, dass sich die einzelnen Fasern leicht verhaken und sich sowohl beim Aufbereitungs- als auch beim späteren Einblasprozess schnell neue Agglomerate bilden. Geeignete Verfahren, um aus den Neptunbällen Dämmwolle zu produzieren, hat das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT in Pfinztal in Kooperation mit den Industriepartnern NeptuTherm e.K., X-Floc Dämmtechnik-Maschinen GmbH, Fiber Engineering GmbH und RMC GmbH entwickelt. Ziel der Projektpartner war es, ein stopf- und einblasfähiges Material herzustellen. »Um möglichst lange, sandfreie Fasern zu erhalten, erwies sich das Abrütteln des Sandes als beste Lösung«, sagt Dr. Gudrun Gräbe, Wissenschaftlerin am ICT. Durch einen schonenden Aufschluss der Agglomerate konnten die Ingenieurin und ihr Team die Fasergewinnung optimieren. Nach dem Abrütteln des Sandes gleiten die Neptunbälle über ein Laufband in die Schneidmühlen und fallen dann unbeschädigt als 1,5 bis 2 Zentimeter lange Fasern in Plastiksäcke.
Posidonia-Faser kühlt bei Hitze
Der so produzierte lose Dämmstoff besitzt eine hohe Wärmespeicherkapazität. Der ermittelte Wert von 2,502 Joule pro Kilogramm Kelvin (J/kgK) liegt etwa 20 Prozent höher als bei Holz und Holzwerkstoffen, wie eine Studie vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP in Holzkirchen ergab. An heißen Tagen hält er das Gebäude daher kühl und schützt vor Hitze. Auch in der Wärmedämmwirkung überzeugen die Posidoniafasern. »Das Material wird mit der Dichte eingebaut, bei der es nicht zusammensackt. Die notwendige Einbaudichte hat die Materialprüfanstalt MPA in Dortmund ermittelt«, so Gräbe.
Nach Angaben des ECO-Instituts in Köln ist das Seegras zu 100 Prozent biologisch und enthält keinerlei Fremd- oder Schadstoffe. Es eignet sich daher auch für Allergiker. Die Neptunbälle zeichnen sich darüber hinaus durch ihre günstige Ökobilanz aus, die die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen vom ICT erstellt haben. Für den kompletten Herstellungsprozess inklusive Transport wird sehr wenig Energie benötigt. Die Neptunbälle werden von Hand gesammelt und aus Tunesien per Schiff, aus Albanien per Lkw nach Deutschland geliefert.
Stopfen oder einblasen
Das Einfüllen der Dämmung selbst ist unproblematisch. In der Regel wird das von Fachbetrieben durchgeführt, man kann es aber auch in Eigenregie übernehmen. Der Faserstoff wird in die Hohlräume von Dächern, Wänden und Decken geschüttet und anschließend von Hand gestopft. Bei schlecht zugänglichen Hohlräumen empfiehlt sich jedoch das Einblasen. Hier sorgt eine spezielle, ebenfalls im Projekt konstruierte Einblasmaschine dafür, dass selbst die hintersten Ecken und Winkel gefüllt werden.
Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft